रविवार, 12 जनवरी 2025

Mit der-die-das Chutney ins-im-zum Chemielabor

Am Campus Burghasusen der TH Rosenheim lernen derzeit mehrere hundert indische Studierende Wasserstofftechnologie - und Deutsch. 

Als ich im Sommer 2024 das erste Mal den Seminarraum meiner Hochschule betrat, um einer Klasse internationaler Studierenden, die meisten davon aus Indien, Deutsch beizubringen, spürte ich eine Mischung aus Vorfreude und Nervosität. Ich hatte zuvor lange in Asien gelebt und unterrichtet, in Indien war ich jedoch noch nie gewesen und so wusste ich nicht, was mich erwartet. Zwar ist mir die indische Kultur nicht völlig fremd; ich bewundere den Gelehrten Vasubandhu und seine Schriften über die Psyche des Menschen, außerdem unterrichte ich seit Jahren Yoga und habe Patanjali ebenso gelesen wie die Bhagavad Gita. Doch die Autoren all dieser Werke lebten vor über tausend Jahren und von modernen jungen Inderinnen und Indern hatte ich keine Ahnung. Ich war also gespannt, wie sich der Unterricht entwickeln würde.

Ich arbeite als Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache am Burghauser Campus der Technischen Hochschule Rosenheim, wo seit Oktober 2022 ein internationaler Master-Studiengang in Wasserstofftechnologie angeboten wird. Das Programm baut auf Chemieingenieurwesen und Verfahrenstechnik auf und bildet junge Menschen mit entsprechenden Vorkenntnissen zu Experten in der zukunftsträchtigen Wasserstoffbranche aus. Besonders indische Studierende interessieren sich für dieses Berufsfeld; sie stellen mehr als die Hälfte der derzeit 340 eingeschriebenen internationalen Studierenden an unserem Campus dar.

Doch das Studium in Deutschland ist für viele eine große Herausforderung, nicht nur, weil Wasserstofftechnologie ein umfangreiches und komplexes Fach ist, sondern auch, weil die Studierenden sich an einen ganz neuen Alltag gewöhnen müssen. Wenn ich vor meiner Klasse stehe, denke ich oft an meine eigene Zeit im Ausland zurück und erinnere mich, wie schwierig damals alles war. Ein Auslandsaufenthalt kann sehr bereichernd sein; man lernt, dass vieles, das man für selbstverständlich hielt, nur eine subjektive „Wahrheit“ innerhalb eines Kulturkreises ist, die an anderen Orten nicht mehr gilt. Das kann einem zunächst Angst machen; man fühlt sich, als wäre man plötzlich Teil eines Spiels, dessen Regeln einem aber nicht verraten werden und in dem man sich mühsam wie durch ein Labyrinth ohne Wegweiser vorantasten muss. Doch letztendlich gibt einem genau das die Chance, über sich selbst hinauszuwachsen.

Sehr oft bin ich deshalb nicht nur Sprachlehrerin, sondern auch Lebens-Coach. Meine Aufgaben reichen vom Ausfüllen eines Patientenaufnahmebogens für den Zahnarzt über Hilfe bei der Kommunikation mit Behörden bis hin zu Einkaufsberatung (Wo bekommt man in einer bayrischen Kleinstadt indische Lebensmittel?) und Sicherheitsaspekten (die Schlangen am Flussufer dürfen weder vertrieben noch getötet werden, sondern stehen unter Naturschutz und nein, sie beißen Menschen nicht, außer man stellt sich extrem dumm an). Und ich erkläre kulturelle Besonderheiten, wie zum Beispiel das seltsame Verhältnis der Deutschen zur Zeit (das Klischee von den überpünktlichen Deutschen stimmt, allerdings mit Ausnahme der Deutschen Bahn, weshalb wir in Kurswoche 1 bereits Vokabeln wie „die Verspätung“ und „der Schienenersatzverkehr“ lernen).

Doch auch ich lerne viel von den Studierenden. Zum Beispiel, dass in Indien nicht nur der junge Mensch selbst studiert, sondern auch seine Eltern. Deshalb kann es schon passieren, dass sich einige Väter und Mütter mal spontan per Videocall zum Deutschkurs zuschalten, wenn mein Unterricht genau in die Zeit fällt, zu der sie den täglichen Anruf des Sohns oder der Tochter erwarten. Ich winke dann freundlich in die Kamera und überlege, ob ich bei der Gelegenheit vielleicht gleich nach dem Rezept für das hervorragende Bittergurken-Chutney fragen kann, das mir meine Studierenden von Zuhause mitgebracht haben. Denn dank der kofferweise von den Eltern eingepackten Vorräte an scharf eingelegtem Gemüse, von dem die Studierenden mir ab und zu etwas abgeben, werde ich dieses Wintersemester garantiert keine Erkältung bekommen; die Menge an Chili im Chutney reicht, um jegliche Krankheitserreger in meinem Körper sofort auszubrennen. Ich habe das Gefühl, dass die Tatsache, dass ich scharfes Essen mag und nicht wie andere Deutsche von einer Prise Chili sofort in Flammen aufgehe, mir bei den Studierenden ein paar Respekts-Punkte einbringt.

Da Essen bekanntermaßen verbindet ist dies immer eines der schönsten Themen im Sprachunterricht und so heißt es jedes Semester in Lektion 3: Koch-Challenge für die Lehrerin! Meine Studierenden schreiben auf Deutsch Rezepte für ein indisches Gericht, das ich nachkochen und fotografieren muss. Ich habe mittlerweile eine Liste mit mindestens zwanzig verschiedenen Spezialitäten, die ich abarbeite; zur großen Freude meines gesamten Freundeskreises, denn da ich nie alles alleine aufessen kann, lade ich regelmäßig zum Abendessen ein. Dann serviere zum Beispiel Rasam-Linseneintopf, oder Qubani ka Meetha, eine Süßspeise aus Hyderabad. Ich habe auch Kala Namak für mich entdeckt, dank dessen Schwefelgehalt ich einen wunderbaren Eier-Geschmack in ein veganes Kichererbsen-Rührei zaubern kann. Mein Gewürzregal sieht mittlerweile aus wie ein Marktstand in Mumbai. 

Den meisten Menschen in Deutschland und auch in Indien ist wahrscheinlich nicht bewusst, wie nahe sich die beiden Kulturen stehen – denn tatsächlich sind Deutsch und Hindi miteinander verwandt! Linguisten sprechen von der „indo-germanischen Sprachfamilie“ und in manchen Wörtern erkennt man diese Verwandtschaft bis heute: Zum Beispiel in „gilass“ (Hindi) und „Glas“ (deutsch). Trotzdem haben meine Studierenden Recht, wenn sie sich darüber beklagen, dass die deutsche Grammatik und Rechtschreibung eine echte Herausforderung sind. Und da ich an das Prinzip glaube, dass eine Lehrkraft nie etwas verlangen sollte, das sie selbst nicht kann, habe ich mich neben der Koch- noch auf eine zweite Challenge eingelassen: Ich lerne seit einigen Wochen Hindi. Sprache ist Ausdrucksmittel einer Kultur, deshalb spiegeln Satzstruktur, Grammatik und Wortwahl die Mentalität der Menschen wieder. Ich bin immer wieder fasziniert, wie sich plötzlich Muster offenbaren, seit ich die Muttersprache meiner Kursteilnehmer ein bisschen besser verstehe. Eine Studentin schaute mich deshalb neulich sehr verblüfft an, als ich über ihren Satzstellungsfehler vor Freude strahlte! Und ihr dann erklärte: „Ich weiß, warum du diesen Fehler gemacht hast – nämlich, weil ihr in Hindi keine Prä-, sondern Post-Positionen habt!“ 

Ob ich die Challenge am Ende des Semesters gewinne und die Stufe A1 in Hindi meistern werde, weiß ich nicht. Aber das Ergebnis ist letztendlich egal. Denn es geht nicht ums Gewinnen, sondern darum, gemeinsam mit den Studierenden die jeweils andere Sprache und Kultur zu entdecken, miteinander und voneinander zu lernen. Am Ende des Semesters werden meine Studierenden ein Stückchen selbstständiger sein; ein bisschen selbstbewusster in der Fremdsprache; und sie werden als Person ein kleines Stückchen gewachsen sein. Genau wie ich auch. Und eben deshalb liebe ich meinen Job. 

(Kerstin Han)