शनिवार, 9 अगस्त 2014

08 - Die `Schwabinger Welle´

Man schrieb das Jahr 1980 und eigentlich hätte es ein gutes Jahr werden können. Wenn - ja, wenn da nicht aus unerfindlichen Gründen ein kleines, unbedeutendes Sümmchen staatlicher Mittel in einem kleinen, wahrscheinlich ebenso unbedeutenden Titel übrig gewesen wäre und wenn nicht ein vermutlich überaus bedeutender, innovativer Vorgesetzter beschlossen hätte, auf Umwelt und Natur zu setzen.

Konkret bedeutete dies, dass eines Tages ein Lieferwagen auf unserer Inspektion vorfuhr und - mir nichts, dir nichts - drei Polizeidienstfahrräder auslud. Drei leibhaftige, grüngestrichene Polizeifahrräder, die (man höre und staune) darüber hinaus sogar - fast - dem modernsten Stand der Technik entsprachen. 26-Zoll-Räder machten sie für den Einsatz in niedrigen Unterführungen tauglich, breite Reifen und ein extra tiefliegender Lenker sorgten für ein gewisses "Manta-Feeling" und gute Bodenhaftung und der Drei-Gang-Nabenantrieb in Verbindung mit den kurzen Pedalen sorgten für eine ausreichende Motorleistung. Massive Stahlschutzbleche, ein Gepäckträger aus T-Trägern, Stahlfelgen und ein doppelt geschweißter Stahlrahmen machten deutlich, dass diese Wunderwerke modernster Ingenieurs-kunst auch im härtesten Geländeeinsatz ihren Mann stehen würden. Und die asymmetrisch packende Vorderradbremse in Verbindung mit der Rücktrittbremse gaben einen ersten Vorgeschmack auf ABS - kurz, hier hatte ein echter Praktiker für den praktischen Polizeidienst endlich ein Gefährt beschafft, das irgendwelche Lücken schließen würde, um deren Öffnung man sich sicher jahrelang in einem Arbeitskreis bemühte hatte.

Die vorübergehende Ratlosigkeit ob der unverhofften Fuhrparkvermehrung wurde rasch beseitigt, als unser (bis dahin) sehr verehrter Herr Inspektionsleiter uns freudig und sichtlich bewegt erklärte, dass künftig dank des Einsatzes der PDF (richtig: der Polizeidienstfahrräder) die rechtsfreien Räume im Englischen Garten praktisch auf null zusammenschrumpfen würden. Das war die Geburtsstunde der Fahrradstreife im Englischen Garten. Ich hatte meine Hochachtung vor dieser Neuerung wohl nicht geschickt genug verborgen, denn - welche Ehre - ausgerechnet ich sollte als Geburtshelfer tätig werden und die erste Fahrraddoppelstreife anführen dürfen. Am darauffolgenden Samstag war es soweit. Die - bitte, kein Neid! - polizeigrünen Packtaschen passten farblich zu der angeordneten Fahrradkleidung, nämlich dem Tuchrock (grün) der Mütze (weiß) und dem Binder (lang). Ein handliches Funkgerät in der eng anliegenden Trageschlaufe um den Oberkörper geschlungen und einen fröhlichen, ungequälten Blick im wachsamen Auge, waren wir bereit.

Fürsorglich achteten die 9 Kollegen aus der Schicht und die 41 Kollegen der Verfügungsgruppen, unterstützt von 6 Polizeihostessen, darauf, dass wir uns richtig herum auf die Sättel setzten und nicht versehentlich den Griff der Handbremse zogen. Wir konnten uns nur einen kleinen Teil der 50 wohlgemeinten Ratschläge merken, von denen der wohlmeinendste lautete: "Sagt niemandem, dass ihr von unserer Inspektion seid!" Dann hieß es: "Pedale frei!" Ach, hatte ich zu erwähnen vergessen, dass auch das Wetter mitspielte und schlappe 33 ° C im Schatten herrschten?

Am Anfang ging alles gut. So lange gut, bis uns die ersten beiden (denen noch ca. 50.000 weitere folgen sollten) Menschen zu Gesicht bekamen. Ausgerechnet auch noch zwei Rad fahrende, weibliche Menschen der Gattung `Klasseweib´! Was mögen sie wohl komisch gefunden haben an unserem Anblick, das sie veranlasste, einfach so von ihren Rädern zu fallen und laut prustend und japsend zu Boden zu gehen? Wir leisteten den beiden sofort Erste Hilfe, indem wir strampelnd zwischen den Büschen verschwanden. Schicksal, dass wir ausgerechnet am Anfang unserer Mission auf die einzigen beiden Wesen zwischen dem Mississippi und dem Auer Mühlbach treffen mussten, die für die Feinheiten des Polizeidienstes kein Feeling hatten.

Nun gut, der 26-Zoll-Rahmen war tatsächlich etwas niedrig für unser 1,90er Fahrgestell, so dass wir die Beine beim Treten etwas öffnen mussten, um mit den Knien nicht gegen die wirklich sehr niedrige Lenkstange zu stoßen. Auch die extra breiten Reifen schienen einen kleinen optischen Schönheitsfehler zu haben, da sie durch den breiten Querschnitt den Eindruck vermittelten, als sei keine Luft in den Reifen (später geäußerte Vermutungen, dass die platten Reifen eine Folge erheblicher Überladung der PDF gewesen seien, konnten bislang wissenschaftlich nicht untermauert werden). Und wenn der Sattel etwas breiter gewesen wäre, wären sicherlich die Gesäßtaschen links und rechts davon nicht so weit nach unten gehangen. Dafür sorgte die weit nach vorn gebückte Sitzhaltung dafür, dass der Tuchrock am Rücken nicht nur ordentlich stramm saß, sondern sogar noch ein Stückchen nach oben rutschte und damit den Blick auf das tadellos gebügelte Diensthemd freigab.

Die gebückte Stellung in Verbindung mit dem Schild der Dienstmütze verhinderte, dass wir rechtzeitig die Menschenmassen wahrnehmen konnten, die sich auf den Rasenflächen des Englischen Gartens breitgemacht hatten. Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf und die "Schwabinger Welle" wurde geboren. Denn solange wir nun - aufgeschreckt durch ein vielhundertstimmiges Gebrüll - über die freie Fläche hasteten, um den Schutz des gegenüberliegendes Buschbestandes zu erreichen, lief neben uns her eine Bewegung durch die Massen, die heute in allen Fußballstadien der Welt als die "Mexikanische Welle" bekannt ist.

Mütter zogen ihre Kinder an sich, ein junger Bursche mit seinem 16-Gang-Rennrad fuhr ein Stückchen neben uns her und feuerte uns sportlich an ("... fang mich doch, Dickerchen...!"), um sich gleich darauf im Staub der sonnendurchglosten Wege für immer zu verlieren. Andere weinten förmlich vor Glück, dass nunmehr die Polizei auch dieses Stiefkind der polizeilichen Überwachung voll in den (Polizei-) Griff bekommen hatte.

Kurzum: wir hatten allen Grund zu der Befürchtung, dass alles wie geplant lief. Nach endlosen Minuten und tausende Fans später (die Zeitungen schrieben am Montag, dass an diesem Tag ein Jahrhundertbesucherrekord im Englischen Garten zu verzeichnen war) erreichten wir das rettende Gebüsch. Gnadenlos steuerten wir unsere Einsatzfahrzeuge durch Zweige und Gestrüpp. Der Schweiß perlte unter der Mütze hervor und lief zwischen Hemd und Rücken abwärts. Wir blickten uns um. Niemand folgte uns.

Auf Schleichwegen (die wir noch von früher her, aus der prä-pedalen Zeit kannten) kamen wir zu einer steilen Fußgängerbrücke, die über den Mittleren Ring hinweg ins sichere Niemandsland führte. Noch ein, zwei feste Tritte in die Pedale steil bergauf - da geschah es: ein geradezu himmlisches Knacken, ein Ruck - und ein Pedal brach einfach ab! All der viele Stahl in Gepäckträger und Schutzblechen, im Rahmen und wer-weiß-wo-noch - und ausgerechnet an den lieben, kleinen Pedalen war gespart worden! Wer konnte das ahnen! Das war Rettung in letzter Sekunde. Ein in der Nähe tätiger, barmherziger Bootsverleiher hielt uns solange verborgen, bis der über Funk angeforderte VW-Bus mit zwei freundlichen Kollegen eintraf.

Unseren Inspektionsleiter mögen leise Zweifel am Erfolg seines Konzeptes befallen haben, als er unsere Schadensmeldung las. Er war aber tapfer genug, sich nichts davon anmerken zu lassen, als er uns versprach, dass wir zukünftig bei ihm nicht mehr Rad fahren bräuchten. Ehrenwort!