शनिवार, 9 अगस्त 2014

24 - Der Verdacht

Es war an einem Freitagnachmittag. Feierabend. Gemäßigten Schrittes verließ ich die Dienststelle und machte mich auf den Weg zur U-Bahn-Station. Meine Gedanken kreisten um die kriminalistischen Höhepunkte des Tages: Fenster? Geschlossen! Radio? Licht? Ausgeschaltet! Tür? Abgeschlossen! Jalousien? Hochgezogen! Nichts stand dem wohlverdienten Wochenende im Wege. Nichts? Fast nichts! Denn in meine Gedanken hinein ertönten plötzlich die schrillen und aufgeregten Schreie einer Frau: "Halt! Stehenbleiben! So bleiben Sie doch stehen! Halt! Haaalt!" Das Wochenende verblasste jäh in der Ferne...

Ein schneller Blick über die Schulter ließ mich Böses erahnen. Eine schon betagte Dame stand mitten auf der Fahrbahn einer kleinen Seitenstraße. Aus ihrer Richtung kommend, rannte ein jüngerer, sportlich gekleideter Mann aus der Seitenstraße heraus, überquerte die Hauptstraße und lief weiter in meine Richtung. Der kleine Adam Riese in mir lief zur Höchstform auf: eine schreiende Dame + ein weglaufender Kerl = äußerst verdächtig! Weil also solchermaßen verdächtig, beschloss ich, dem Jogger meine Gesellschaft angedeihen zu lassen, um dann die Ursache der Schreie zu erkunden. Unauffällig setzte ich meinen Weg fort, um den Übeltäter in Sicherheit zu wiegen und zu keiner vorzeitigen Kurskorrektur zu veranlassen. Mein Konzept ging auf. Der Jogger joggte unbeirrt weiter auf mich zu. Als er dann nur noch einige Schritte von mir entfernt war, drehte ich mich auf dem Absatz herum. "Halt, Freundchen, nicht so hastig. Polizei! Bleiben Sie stehen!"

Ein kurzes, erschrockenes Aufflackern in den Augen des Gegners, ein schneller Haken und ein beginnender Spurt schienen mir deutliche Anzeichen dafür zu sein, dass der Läufer keinen Wert auf meine Bekanntschaft legte. Da das Verfolgen von spurtenden Sprintern gewichtsbedingt nicht zu meinen ausgesprochenen Spezialitäten zählt, bediente ich mich kurzerhand der kaloriensparenderen Disziplin des Aktenkofferweitwurfes. Mein Koffer landete zielsicher zwischen den Beinen des Joggers und dieser auf dem gepflegten Rasen des Seitenstreifens.

In der Folge bedurfte es erheblicher körperlicher Überredungskunst, den schwitzenden, glitschigen und wild um sich schlagenden Sportler zum Bleiben zu veranlassen. Immer wieder versuchte er mit aller Gewalt, sich aus meinen Haltegriffen zu entwinden. Er schien völlig unempfänglich für alle meine Aufforderungen, seinen Widerstand aufzugeben. Wir wälzten uns am Boden, in Bereichen, die sonst bevorzugt nur von vierbeinigen Münchnern und auch nur zur Verrichtung ihrer Notdurft aufgesucht werden. Nach endlosen Minuten wilden Gerangels hatte ich meinen Verdächtigen schließlich so fixiert, dass er sich in sein Schicksal ergab und nun kraft- und reglos seinem Bezwinger angstvoll ins Antlitz blickte.

Mit meiner `Beute´ unter dem Arm bat ich schließlich die Dame, die dem Geschehen aus sicherer Distanz interessiert beigewohnt hatte, mir den Grund ihrer verzweifelten Schreie mitzuteilen. Da ergab sich eine erste überraschende Wende der Lage: Die Dame hatte ihren Hund Gassi geführt. Als der Jogger beide überholte, schloss sich ihm der Hund fröhlich an, was jedoch vom Sportler missverstanden wurde. Aus Angst um seine Wadeln gab dieser Gas. Als sich das gemischte Doppel der Hauptstraße näherte, bekam nun auch die Dame Angst. Allerdings nicht Angst um die Wadeln des unbekannten Läufers, sondern davor, dass ihr Bello – würde er dem Jogger weiter folgen - beim Überqueren der Straße womöglich unter die Räder geraten könnte.

Diese Angst bewog sie, dem Jogger nachzurufen, stehenzubleiben, um so das Leben ihres Vierbeiners zu schonen. Warum der Jogger auf diese eindringlichen Rufe nicht reagierte, ergab sich gleich darauf. Zunächst aber lief der Läufer unbeirrt weiter. Als er sich dann unvermittelt mit meiner Person konfrontiert sah, erschrak er ob der Plötzlichkeit dieser Begegnung heftig. Vollends zum Missverständnis aber war es dann deshalb gekommen, weil - wie sich erst jetzt im Gespräch als zweite Überraschung herausstellte - der Jogger ein schottischer Tourist war, der kein einziges Wort Deutsch verstand!

Freimütig bekannte nun mein Gefangener, dass er mich für einen geistesgestörten Mörder gehalten hatte, der ihm grundlos an sein Leben wollte. Von dem, was ich ihm zugerufen hatte, hatte er kein Wort verstanden! Nachträglich wurde mir jetzt klar, warum er sich gar so heftig gewehrt hatte: der arme Kerl hatte Todesängste ausgestanden! Da sich ein ausgewogenes Verhältnis an Beulen, Kratzern, DNA-Antragen nichtmenschlicher Herkunft und Blessuren ergeben hatte, stand einer friedlichen Trennung nichts mehr im Wege. Nachdem ich meinem Sparringspartner erklärt hatte, an wen er sich wegen eines eventuellen Schadensersatzanspruchs oder eine Beschwerde wenden könne und ihm eine Visitenkarte von mir überreicht hatte, verabschiedete ich mich von ihm.

Zögernd und unsicher fragte er zweimal nach, ob er denn wirklich gehen dürfe. Ich bejahte und dann begann der Mann, sich vorsichtig und mit kleinen Schritten zu entfernen. Verstohlen blickte er sich mehrmals um, bis er einen Abstand von etwa 20 Metern zu mir erreicht hatte. Ein letzter Blick zurück und dann bot die geschundene Kreatur alles auf, was in ihrem Körper noch an Kraftreserven vorhanden war – wie von einer Sehne geschnellt, entfloh der Sportler in Windeseile dem Ort, an dem er so knapp nur dem Tod entronnen war. Auf eindringliche Weise aber hatte sich jedoch für mich wieder einmal das alte Sprichwort bewahrheitet: Treib´ Sport, oder bleibe gesund...